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Warum ich heute Hochdeutsch spreche

Sonntag war Tag der Muttersprache, und die Münchener Boulevardzeitungen haben viel Tamtam gemacht.

(Nebenbei: Man nennt solche „Feiertage“ in den USA „Hallmark Holidays“. Hallmark ist der größte Hersteller von Gluckwunschkarten.

Ich fange mit der AZ an. Am Freitag hod sie zwoa Seiten über die Zukunft des Boarischen brocht – samt Quiz über bairische Wörter und Redewendungen. Von den 30 kannte ich um die 20. Nicht schlecht für einen Zugeroasten, dad i song. Zum Beispiel: „Der kimmt daher wia a gsoizner Radi“ (wie ein Radischen mit Salz also). Das bedeutet „er ist weinerlich“. Oder „Woiger“ (mit „wälgern“ verwandt): ein „Teigroller“…usw.

Bei der Münchner TZ ging es noch heimatlicher zua: Die ganze Wochenendausgabe (mit Ausnahme der Finanzseiten, Automobilseiten, Immobilien – und natürlich des TV-Programms) wurde g a n z u n d g a r auf Bairisch gschriem.

Okay, es war nicht uninteressant. Manchmal habe ich gedacht: Mei, wenn die Zeitung jeden Tag – und nicht nur am dämlichen Tag der Muttersprache – auf Bairisch erschiene, könnte man sich daran gewöhnen. Das Bairische würde schnell („schnäi“ bzw. „gach“) zu einer Schriftsprache mutieren. Warum auch nicht?

Halt! Nicht so übereilig, Herr Sprachbloggeur. Diese Verwandlung würde Arbeit kosten, vui Arbeit.

Dies möchte ich aufgrund von zwei Beispielen veranschaulichen.

Beispui oans: „‘Schlechde Kommunikation‘“ is da haifigste Fella [Fehler], den de Chefs macha. Des hod a repräsendadive Umfra vo da Forschungsgruppe Wahlen fia de ZDF-zeit Dokumention…ergem.“ Was irritiert mich? Ganz einfach: Ich behaupte, dass dieser Satz gar nicht Bairisch ist, sondern einwandfreies Hochdeutsch. Lediglich ist die Schreibweise der Wörter Bairisch. Man könnte dies als „Bühnenbairisch“ bezeichnen. Oder hoid Folklorik.

Beispui zwoa: „Awa ned auf so a depperte Pseudo-Folklore-Art, sondern ganz locker und modern, einfach mit am klaren Blick auf die eigenen Wurzeln.“ Dieser Satz – mit Ausnahme der Vokabeln „ned“ und „depperte“ – ist pures Hochdeutsch.

Mein spontanes Fazit: Momentan ist das Schriftbairische weit davon entfernt, sich als eigenständige Sprache zu zeigen. Es hängt noch zu fest am Rockzipfel des Hochdeutschen.

Hier nun im Gegensatz ein anderes Bairisch. Und zwar the real thing: Renata hods gschriem. Sie is de Schützenmeisterin vo D’Denninger. Folgendes ist eine kleine Kostprobe aus ihrem Weihnachtsgedicht (zum Nikolausfest). Es spricht der Nikolaus: „De Ruatn hob i heier scho bundn/Schene kratzate Zweigl g’fundn.“

Manche Preißen bräuchten vielleicht eine Übersetzung fürs Obige. Das ist gut. Denn so kann man gleich ersehen, dass es sich hier um eine eigene dem Deutschen verwandte Sprache handelt – ähnlich dem Schwyzer Düütsch oder dem Platt. Schee, gell?

Das Bairische braucht mehr als eine folkloristische Ausgabe einer Boulevardzeitung am Tag der Muttersprache, um ihre Sprache zu pflegen. Die Bayern müssen ihre Sprache ernst nehmen, wenn diese überleben soll. Und wenn sie nicht überlebt, do san de Bayer säjbe schuid (sind selber schuld).

Beispiel: Als ich vor vielen Jahren nach München kam, gab es keine „Willkommenskultur“ für Ausländer und Preißen – auch nicht für Amerikaner. Die Bayern tuschelten zwar noch selbstbewusst in ihrer Heimatsprache – aber…und hier wird’s traurig: nur unter sich. Nur wenige haben es geduldet, wenn a Zugeroaster Bairisch redete.

Ich hatte also keine Chance, Bairisch sprechen zu lernen. Nicht nur ich… Deshalb feiern die Zeitungen heute einen Tag der Muttersprache. Und deshalb spreche ich Hochdeutsch. Pfiat di god, o Sprache der Bayern.

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