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Flüchtlinge und Fluchlinge (bzw.: Kevin und Alpha-Kevin)

Nein, so wahnsinnig bin ich nicht, dass ich mit obiger doofer Überschrift versuche, an einer Debatte teilzunehmen, die sich bereits mit einfachen Antworten auf schwierige Fragen ausgezeichnet hat.

Trotzdem ist es mir klar, dass mein Schlagwort „Flüchtlinge und Fluchlinge“ geradezu vorbestimmt (zeitgenössisch: „vorprogrammiert“) wäre, als Slogan missbraucht zu werden. Notabene: „Slogan“ stammt aus dem Keltischen und bedeutet „Schlachtschrei“.

Doch keine neuen Schlagworte von mir. Mein Thema ist das Schlagwort selbst.

Arme Schriftsteller, arme Journalisten. Sie spielen so gern mit der Sprache. Es fällt ihnen leicht, spritzige Schlagworte zu erzeugen. Notabene: Im „Schlagwort“ steckt das Wort schlagen.

Hab ich „spritzig“ gesagt? Als ich noch Journalist war, drängte uns die Chefredaktion stets, „schpritzig“ zu schreiben. So ein Stil galt in der Branche als höchste Tugend. Man kann sich denken: ein schpritziges Schlagwort ist, so gesehen, das Nonplusultra des medialen Wortschmieds überhaupt.

Wissen Sie, was ein gelungenes Schlagwort wirklich ist? Es bedeutet, dass ein kontroverses Thema in eine Karikatur seines Selbst verwandelt wurde, dass ein kompliziertes Thema zum schwarz/weiß Bild reduziert wurde.

Und dann passiert es. Da Schlagworte nicht weniger ansteckend sind als Ebola, verbreiten sie sich schnell. „Lügenpresse“, zum Beispiel. Leider hab ich vergessen, wer dafür verantwortlich ist. Doch man kann augenblicklich mit diesem Slogan jedes vernünftiges Gegenargument zunichte machen. Etwa: „Ach was. Du zitierst nur die Lügenpresse usw.“ Aus, Apfi, amen. Ende der Diskussion.

Aber nun kurz zu „Alpha Kevin“. Dieser Slogan mit der Bedeutung „dümmster Mensch“ stand bis vor kurzem auf einer Liste der 30 „Halbfinalisten“ eines Wettbewerbs fürs „Jugendwort des Jahres“, der vom Langenscheidt Verlag gesponsert wird. Andere Kandidaten waren, z.B., „merkeln“ (bedeutet „nichts tun, keine Entscheidung treffen“ haha), „rumoxidieren“ (bedeutet „chillen“, also „nichts tun“, wohl „merkeln“ oder? hoho). „Kompostieren“ (bedeutet „gammeln“ – niedlich aber sagen das Jugendliche wirklich?).

Zum Glück hat‘s sich der Langenscheidt Verlag kurz vor Sendeschluss die Sache anders überlegt und überraschenderweise „A-K“ von der Kandidatenliste gestrichen. Man hat nämlich rechtzeitig erkannt, dass mit der Förderung dieses Begriffs jeder Mensch in Deutschland, der „Kevin“ heißt, verunglimpft wird.

Nebenbei: 1989 zählte „Kevin“ (Notabene: vom Irischen „hübsch von Geburt“) zu den 20 beliebtesten Knabennamen in Deutschland – populär geworden wahrscheinlich durch die Verbreitung des amer. Spielfilms „Kevin – allein zuhause“ mit dem niedlichen Kind. Und dann passierte es: 2009 wurde eine Magisterarbeit der Uni Oldenburg unversehens von den Medien aufgegriffen, worin eine junge Forscherin festgestellt hatte, dass Grundschullehrer/innen (in Oldenburg?) Vorurteile gegen diesen Knabennamen hegten. Die Lehrkraft brachte ihn nämlich oft in Zusammenhang mit der sozialen Unterschicht. Keine Ahnung, ob dieser Gedanke wirklich so verbreitet war und ist, wie in besagter Arbeit behauptet. Aber egal. Dank der großen Aufmerksamkeit durch die Medien, landete der Name Kevin schnell auf der – wie wir in Amerika sagen „shitlist“. Nomen wurde Omen.

Ich geh davon aus, dass es mal wieder mit dem Namen „Kevin“ Ruhe geben wird. Namen haben schon immer ihre ups and downs gehabt. Ich will nur sagen: Mit Schlagworten kann man innerhalb kurzer Zeit viel kaputt machen. Wahrscheinlich sind sie deshalb so beliebt. Fragen Sie Dr. Joseph Goebbels. Ein gut platziertes Schlagwort kann die Möglichkeit einer vernünftigen Diskussion schnell KO machen, was wohl das Erstreben seines Erfinders war.

Beispiel „Herdprämie“ als spritziges Schlagwort für „Betreuungsgeld“. Wen hat es aber interessiert, dass das Schlagwort ein bisschen an den Haaren herbeigezogen war? Wer sich mit dem Begriff „Herdprämie“ identifiziert hat, der hat schon alles verstanden, was er verstehen wollte.

Oder „Eurorebell“. So hat man den Politiker Wolfgang Bosbach bezeichnet, weil er eine abweichende Meinung zu den Hilfspaketen für Griechenland im Vergleich zu seinen Parteigenossen und anderen geäußert hatte. Mit dem Etikett „Eurorebell“ vermochte man seine Argumente gekonnt zu simplifizieren. Das will ein Schlagwort gern.

Aber zurück zum „Fluchling“. Das Wort hab ich nur als theoretisches Beispiel für ein Schlagwort erfunden: und es darf – außer für wissenschaftliche Zwecke – ohne Genehmigung nicht weiter verwendet werden. Schließlich hab ich das Copyright. Das eigentliche Thema Flüchtlinge ist ohnehin viel zu komplex, als dass es auf ein einziges dummes Schlagwort reduzieren lässt. Und glauben Sie mir: Ich habe tatsächlich eigene, differenzierte Meinungen zu dieser kniffligen Sache. Wer trotzdem versucht ist, aus einem differenzierten Sachverhalt verbales fastfood zu machen, hat wenig Verstand und macht sich letztendlich selbst zum Fluchling.

Ende der Vorlesung.

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