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Brief von dem Mars

Ob einer diesen Brief entdecken wird? Wer weiß? Alles ist möglich. Und wenn ich gerade von dem, was möglich ist, spreche: Was klingt wohl unmöglicher als die Tatsache, dass ich ihn hier auf dem Mars schreibe? Genauer gesagt, hier am Stützpunkt „Little Jerusalem“, einem Namen, der eigentlich unserer Glaubensvielfalt huldigen sollte und der durch unsere gemeinsame Sprache, das Englisch ausgedrückt wird.

Als Crew waren wir ebenso international wie diese Sprache. Auch Mischka und Katrinka nahmen es auf sich, Englisch zu sprechen. Schimpfen taten sie freilich lieber auf Russisch:„Swenja!“, „durak!“, „owsa!“ waren ihre Lieblingsvokabeln – so kam es uns jedenfalls vor. Ich will es aber nicht leugnen: Es ging uns allen auf die Nerven, wenn sie miteinander auf Russisch tuschelten.

War es aber anders als Gerlinde und ich manchmal miteinander Deutsch redeten? Alle schimpften, machten Witze über die „Krauts“, Hitler und so, meinten wir würden Geheimnisse austauschen, Verschwörungen schmieden. Stimmt nicht. Manchmal hatten wir halt das Bedürfnis, die alte Muttersprache unserer heiß vermissten alten grünen Welt aufleben zu lassen, anstatt immer die gleiche englische Alltagseinerlei zu plappern.

Ich gebe zu: Ich nahm es Bob und Leslie zunehmend übler, wenn sie unsere Englischfehler unentwegt besserten: Wenn ich, zum Beispiel, „Yesterday I have seen a Kulaks“ sagte, fühlten sie sich stets berechtigt dazwischen zu funken: „Hans-Georg, you don’t say ‚Yesterday I have seen a Kulaks‘, you have to say ‚Yesterday I saw a Kulaks‘. Okay?” Verdammte englische Sprache, sag ich.

Es ging uns allen so. Man konnte es nicht länger ertragen. Das hat wahrscheinlich zur ersten Katastrophe geführt. Ich war es jedenfalls nicht allein. Die anderen – auch die Briten – machten mit, als wir sie kurzerhand schassten. Sie kamen nie wieder nach „Little Jerusalem“ zurück.

Weit haben sie es wahrscheinlich nicht geschafft. Nicht nur weil es, verzeihen Sie mir den Ausdruck, arschkalt auf diesem trostlosen Planeten ist. Es blies damals obendrein der Scirocco – so nannten wir den brutalen Wind aus dem Norden. Ob das, was wir als Norden bezeichneten wirklich der Norden war, ist schwer zu sagen. Außerdem: Wohin hätten sie gehen können? In die nächste Stadt? Haha.

Die Amerikaner waren die ersten, die ausschalteten. Immerhin: Es herrschte unter uns danach eine Zeitlang so was wie Harmonie – als hätten wir damit alle Probleme gelöst. Nun waren wir nur noch 18 in „Little Jerusalem“. Und wir verständigten uns weiterhin auf Kauderwelschenglisch, aber jeder wie ihm der Schnabel gewachsen war. Die Briten beschwerten sich nie.

Neun Pärchen waren wir. Und dann die nächste Katastrophe, als es sich herausstellte, dass Anton schwul und auf Lloyd sehr scharf war, und dass Ségolène es manchmal beim Kulaks-jagen heimlich mit Antonio trieb. Dazu kamen die endlosen Gespräche über Religion und Politik, Themen, die uns eigentlich verboten waren. Wer hätte gedacht, dass wir, nachdem wir von außerordentlich respektierten Kapazitäten Monate lang auf der grünen, süßen Erde geschult und geprüft wurden für die Mission und schließlich alle für tauglich erklärt wurden, über Politik und Religion streiten würden? Jeder meinte, wir würden als Gruppe wie Pech und Schwefel auf einer fremden Welt zusammenhalten sogar bei den widrigsten Umständen. Tja.

Und wer hätte voraussagen können, dass Gary krebskrank werden würde oder dass Irena und Pablo es einfach nicht länger miteinander aushielten? Oder dass eine Schwangerschaft auf diesem Staubhaufen – zum Glück, das sag ich im Nachhinein –unmöglich war? Scheißidee, diese Kolonie. Aber wirklich.

Und dann kam der Krieg auf der Erde, und plötzlich war es nicht mehr möglich, uns mit Vorräten zu beliefern. Wir hatten zwar unsere E-Book-Readers, unsere Filmbibliotheken, Fernsehsendungen. Aber die verdammten Dinge hingen sich zusehends auf. Der Feinstaub wurde einfach zur Plage. Wer hätte unter den Experten das voraussehen können?

Zum Glück (und zum Unglück) gab es die Kulaks. Ja, es gibt doch Leben auf Mars. Im Übrigen: Sie sind nicht nur eiweißreich, sondern reichlich vorhanden, sehen aus wie Schnecken, bewegen sich derart langsam, als würden sie sagen: Hier, nimm mich, friss mich. Aber Vorsicht: Es sind gemeine Viecher die Kulaks. Ich werde nie vergessen, wie Albert aussah, als wir ihn ca. fünfhundert Meter von „Little Jerusalem“ vorfanden. Die Kulaks krochen noch unter seinem Helm herum – hatten sogar seine Knochen mit ihrer zersetzenden Spucke aufgelöst. Ich gehe davon aus, dass Bob und Leslie ebenso endeten. Es muss aber ein langsames Sterben sein. Kulaks haben nämlich, wie gesagt, alle Zeit dieser Welt. Und sie vermehren sich wie die Karnickel. Lloyd hat sie immer „martian bunnies“ genannt. Haha.

Nun bin ich der letzte. Zugegeben, der Sauerstoff wird endlos reichen. Das haben die Jungs auf der Erde wirklich gut vorbereitet, und verhungern werde ich auch nicht, so lange es Kulaks gibt und ich schneller bin. Manchmal bin ich überzeugt, dass sie eine eigene Sprache haben. Es kommt mir manchmal vor, als würden sie Sachen miteinander absprechen. Keine Ahnung, wie das geht.

Auf jeden Fall, seit sie „Little Jerusalem“ entdeckt haben, umkreisen sie unser Städtchen und warten mit großer Geduld, bis jemand einen Fehler macht – oder einfach von allein stirbt.

Komisch. Ich bin hier seit Jahren, kenne diesen Planeten trotzdem nicht, war niemals mehr als ein Kilometer von „Little Jerusalem“ entfernt. Wie auch? Und was erforschen? Alles sieht hier ohnehin gleich dröge aus. Das Licht kommt mir so eintönig vor. Täglich – wenn man überhaupt von „Tag“ reden darf, sieht der Sonnenuntergang gleich langweilig aus.

Wenn Sie Glück haben, werden Sie diesen Brief nie entdecken. Und falls Sie ihn doch finden, dann wünsche ich mit ganzem Herzen, dass Ihre Fahrkarte auch für die Heimfahrt ausgestellt wurde.

In eigener Sache: Bin nächste Woche weit weg. Nächster Beitrag in zwei Wochen.

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