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Oral Sex

Sterben muss alles. Auch Wörter. Wann haben Sie das letzte Mal behauptet: „Mein Brast ist unerträglich“?

Wahrscheinlich nie. „Brast“ ist eine antiquierte Vokabel und bedeutet „Sorge“, „Gram“ – ist übrigens mit „Gebresten“ verwandt. Sagen Sie mir bitte nicht, dass Sie auch dieses Wort nicht kennen. Macht nichts. Auch Gebresten vergehen.

Ebenfalls die „Leser“. Damit meine ich nicht Sie, liebe Leser, sondern das Wort die Leser. Diese altgediegene Mehrzahlform fällt nämlich zunehmend in Ungnade. Nur der „Leser“ existiert weiterhin. Ich meine den einsamen männlichen Buchlesenden.

Es ist nicht so lange her, dass alle Welt „liebe Leser“ schrieben, so selbstverständlich wie der eigene Name war diese Formulierung. Es handelte sich zwar um ein maskulin Plural, doch jeder hat verstanden, dass man damit beides, männliche und weibliche ---- ääämm ----- Leser, meinte. Erst in den 1980er Jahren munkelten einige Unzufriedene zum ersten Mal, dass diese Formulierung sexistisch sei.

Das Resultat: Das Zeitalter von „liebe Leserinnen, liebe Leser“ hatte begonnen.

In den 1990er Jahren wurde aus dieser egalitären Formulierung – vielleicht um Platz zu sparen – „LeserInnen“ erschaffen. Damit meinte man natürlich sowohl männliche wie auch weibliche Leseratten.

Der neue Begriff stellte praktisch die Umkehr der Werte dar. Denn nunmehr sollte die weibliche Form – allerdings mit großem „I“ – stellvertretend für eine lesende Bisexualität hinhalten.

Ähnlich ergingen es „Student“, „Bürger“ usw. Zuerst als „Studentinnen und Studenten“ (ladies first), „Bürgerinnen und Bürger“ – und dann erwartungsgemäß als „StudentInnen“, „BürgerInnen“ usw.

Beliebt waren diese Begriffe allerdings nie. Wahrscheinlich deshalb sagen wir heute, um die Mehrzahl von „Leser“ und „Student“ weiterhin geschlechtsneutral zu halten „Lesende“ und „Studierende“. Ist zwar nicht ideal aber immerhin. „Bürgende“ ist freilich noch nicht möglich.

Nur der Anfang? Man sagt: „Wer hat behauptet, dass er nicht mitgehe?“, auch wenn man eine Gruppe Männer und Frauen anspricht. Wieso „er“? Weil „wer“ in der dt. Sprache seit jeher als männliche Referenz aufgefasst wird. Zugegeben: Man könnte ebenso gut fragen: „Wer hat behauptet, dass er oder sie nicht mitgehe?“. Aber Vorsicht. Man darf nicht zu sehr mit der deutschen Geschlechtlichkeit rumspielen. Sonst könnte man versehentlich das ganze „der-die-das-System“ in Frage stellen. Das Resultat wäre natürlich der pure Sprachsalat.

Wir Englisch Sprechende haben diesen Salat längst. Noch vor 30 Jahren war es normal, dass ein Englisch Sprechender sagte: „Whoever did it, let him speak up“. Das geht kaum mehr. Man sagt lieber „him or her“ oder „them“ anstatt „him“ – zumindest in der Umgangssprache. Wer formell schreibt, versucht obige Formulierung ganz zu umgehen. So kompliziert ist es geworden, Englisch zu schreiben.

Der „chairman“, also „Vorsitzender“ ist längst zum geschlechtsneutralem „chair“ – wörtlich „Stuhl“ geworden – obwohl die Vokabel „chairwoman“ als weibliche Entsprechung möglich wäre. Manche amer. Feministinnen lehnen heute das engl. Wort „history“ wegen des eingebetteten maskulinen Pronomens „his“, ab – als sei dies ein Hinweis, dass die bisherige Menschengeschichte betont männlich war (was auch stimmen mag). Die Form „herstory“ hat sich allerdings noch nicht befestigen können.

Facebook bietet, will man ein Konto öffnen, so hab ich jedenfalls neulich in „The Daily Beast“ gelesen, unter Rubrik „Geschlecht“ 51 Möglichkeiten. Wer sich für diese Liste interessiert, darf selbst recherchieren. Mir ist die Auflistung zu anstrengend.

Nebenbei: Wer sich nicht mehr als ein „he“ oder eine „she“ verstehen will, er oder sie kann sich auf Englisch als ein(?) „xe“ bezeichnen. (Das Wort klingt wie das dt. „sie“). Statt „him“ oder „her“ gibt es „xer“ (sprich „serr“) usw.

Worauf will ich hinaus?

Auf Folgendes: Seien Sie nicht überrascht, wenn mal die Gegenbewegung einsetzt. Nix ist für immer.

PS Im Türkischen wird zwischen „er“ und „sie“ nicht unterschieden. Ob „er“, „sie“ oder „es“, alles heißt „o“. Endlich eine Sprache, die nicht sexistisch ist!

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