You are here

Halsabschneider und Hintermänner – nur ein Beispiel (von vielen)

Was flüstert ihm der Henkersknecht ins Ohr? Ihm, dem traurigen Jungen mit dem netten Gesicht, eine schwarze Binde um die Augen wie ne Larve? Genau das Gegenteil von der Maskierung seiner Henker, deren Gesichter in schwarzen Tüchern verhüllt sind und bloß die Augen frei.

Bald werden sie ihm den Hals abschneiden – wie das Opferlamm. Er kniet neben dem Flüsterer. Trägt noch seine Soldatenuniform. Die Hände sind ihm hinter dem Rücken festgebunden. Der Kopf neigt nach vorne.

Was flüstert ihm der Henkersknecht zu?

Vielleicht: „Keine Angst. Du bist bald bei Gott.“

Oder: „Nimm die Sache nicht persönlich. Keiner entkommt seinem Schicksal.“

Oder: „Es ist schnell wieder vorbei.“

Hört der junge Mann zu? Oder ist er mit seinen Gedanken woanders. Vielleicht war er bis vor kurzem Student an der Damaskus Universität, studierte Medizin oder Literatur, twitterte, stopfte seine Facebook-Seite voller Fotos: von seiner Freundin, von Partyblödsinn, von den Freunden. Vielleicht wurde er widerwillig einberufen, um Baschar Al-Assad zu dienen, und war bloß zu wenig energisch, um nein zu sagen oder abzuhauen.

Aber genug des Trostes. Jetzt packen die Henker zu, versuchen den Hals freizumachen. Jetzt aber leistet der nett aussehende junge Mann Widerstand, presst sein Kinn mit aller Kraft gegen seine Brust. (Das macht nicht er, sondern der gesunde Überlebensinstinkt).

So viel Kraft kann er aber nicht aufbringen. Sie zerren ihn an den Haaren, drängen und schieben den Kopf nach hinten, bis der Hals entblößt wird wie die keusche Nacktheit einer zu Vergewaltigenden.

Schon berührt das Messer die Haut und dringt durch die Oberfläche ein. Rotes Rinnsal. Aus dem offenen Mund widerhallt der erste und letzte Protest…

Szenenwechsel: Eines Nachts träumt der Flüsterer – oder ist es der mit dem Messer? – von seinem Opfer. Der Ermordete spricht: „Du wirst mich suchen müssen. Aber der Weg zu mir ist beschwerlich. Denn ich war die Hoffnung, Du hast die Hoffnung abgeschlachtet wie ein Tier. Wer die Hoffnung tötet, muss einen weiten Weg zurücklegen, um mich zu finden. Wehe, wenn er nicht nach mir sucht.“

„Warum hast du mir das nicht damals gesagt?“ fragt der Mörder – oder der Flüsterer. Oder vielleicht träumen beide in dieser Nacht das Gleiche. „Und wieso weißt du so sicher, dass ich es war? Dir waren die Augen gebunden, und wir trugen Gesichtsmasken.“

„Ich habe alles gesehen; ich weiß ganz genau, wie du aussiehst.“

„Ich aber habe vergessen, wie du aussiehst. Es waren so viele, weißt du. Wie soll ich dich wiedererkennen?“

Doch nun schweigt der Ermordete.

He! Baschar! Hörst du? Ja, du. Wahrscheinlich hörst du nicht. Auch du musst ihn finden. Auch du weißt nicht, wie er aussieht. Und die Liste der zu Suchenden wird für dich täglich länger.

(Notabene: Halsabschneider handeln meistens im Auftrag von Hintermännern).

Lieber Lesende. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass mich diese Woche ausgerechnet dieses Thema beschäftigt. Zu viele tote Jugendliche, zu viele Halsabschneider, zu viele Hintermänner spuken mir momentan durch den Kopf, und manche werden zu schnell vergessen – zum Beispiel obiger Junge und seine Mörder oder Baschar Al-Assad.

Add new comment

Filtered HTML

  • Web page addresses and e-mail addresses turn into links automatically.
  • Allowed HTML tags: <a> <p> <span> <div> <h1> <h2> <h3> <h4> <h5> <h6> <img> <map> <area> <hr> <br> <br /> <ul> <ol> <li> <dl> <dt> <dd> <table> <tr> <td> <em> <b> <u> <i> <strong> <font> <del> <ins> <sub> <sup> <quote> <blockquote> <pre> <address> <code> <cite> <embed> <object> <param> <strike> <caption>

Plain text

  • No HTML tags allowed.
  • Web page addresses and e-mail addresses turn into links automatically.
  • Lines and paragraphs break automatically.
CAPTCHA
This question is for testing whether you are a human visitor and to prevent automated spam submissions.
Image CAPTCHA
Enter the characters shown in the image.