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Bekenntnisse eines digitalen Spitzels amer. Herkunft

Als Amerikaner vermag ich selbstverständlich den Inhalt Ihrer Festplatte zu lesen, als wäre es das New Yorker Telefonbuch. Ich weiß alles – sogar, dass Sie Kaffee auf Ihre Tastatur verschüttet haben. Bitte aber künftig auf die Papierbecher dieser amerikanischen Kaffeemarke mit den vielen Geschmacksrichtungen verzichten – Sie wissen, wen ich meine (bei mir keine Schleichwerbung – wir bekommen unser Geld ausschließlich von der NSA). Der Geruch von bestimmten Geschmacksrichtungen, wenn sie auf eine Tastatur verschüttet werden, sickert nicht nur ins Innenwerk Ihrer Tastatur, sondern durch das ganze Internet und schließlich in mein IP-Informationszentrum. Igittigitt.

Ich bin sogar in der Lage das Zimmer meines neuesten Spammers zu schildern. Er nennt sich „Aliciakeyss“ und hinterlässt täglich ca. fünfzehn „Kommentare“ auf meiner Webseite, die ich, seiner Fantasie nach, veröffentlichen soll, um Werbung für Poker-Seiten zu machen. Dass ich nicht lache.

Natürlich lösche ich seine primitiven in englischer Sprache verfassten Texte umgehend. Was er (ja, er ist ein Er), aber nicht ahnt: ich weiß sehr viel über ihn. Mitunter: Sein Zimmer befindet sich in Minsk in Weißrussland. Wieso weiß ich das?

Ganz klar: Als Agent im Dienste der NSA (fast alle Amerikaner im Übersee arbeiten für die „Agency“, wie wir es nennen) kann ich mittels der in seinem Monitor eingebaute Kamera jede Ecke seines Zimmers sehen. Ich kann sogar zoomen! Das große Porträt von Aljaksandr Ryhorawitsch Lukaschenka, so der Name des Diktators in der weißrussischen Sprache, wäre nur in Weißrussland denkbar. Und nicht von ungefähr ist seine IP-Adresse in Minsk beheimatet.

Und ich weiß, wie „Aliciakeyss“ aussieht: Er dürfte Ende zwanzig sein, ist oft unrasiert, raucht selbstgemachte Zigaretten, ist Brillenträger und hat die Gewohnheit, sehr häufig in der Nase zu bohren. Hinzu: Er isst mit Vorliebe ganz fettige Wurst – mit den Fingern! Wenn ich seine Tastatur nur oberflächlich beschreiben würde!

Sie können sich vorstellen, wie unappetitlich meine Arbeit werden kann. Manches will man über andere Menschen einfach nicht wissen. Und die Berichte, die ich ans HQ, also „Headquarters“ schicke, sind voll mit Bemerkungen über die hygienischen Zustände bei den Bespitzelten. So will es das HQ. Nebenbei: „Aliciakeyss“ hat eine Freundin namens Swetlana. Sie trägt eine Tätowierung unter…nein, ich möchte hier nicht so sehr ins Detail gehen. Das erfährt nur das HQ. Sie werden dafür Verständnis haben.

Manchmal frage ich mich, wer am HQ meine Berichte liest? Ich weiß es wirklich nicht. Und ich schreibe meine Beobachtungen praktisch acht Stunden täglich auf. Also wirklich kein Zuckerlecken. Es sind bisweilen drei- oder vierhundert Momentaufnahmen täglich. Ja, wer liest das ohne dabei einzuschlafen? Denn ich bin, ehrlich gesagt, noch nie auf etwas richtig Verdächtiges gestoßen. Und ich mache diese Arbeit schon seit zwölf Jahren.

Mein Freund Lennie, der ist auch Amerikaner, ein Kollege also, hat mir mal erzählt, dass die Arbeit ihn so sehr langweilt, dass er inzwischen alles Mögliche erfindet, um seine Berichte ein bisschen zu würzen. Immer wieder legt er seinen „Dorks“ (so nennen wir unsere „Klienten“) Wörter wie „Dschihad“, „Osama“ und „Bombe“ in den Mund. Das hat freilich Konsequenzen: So, zum Beispiel, barsten eines Nachts Spezialeinheiten ins Haus einer 93jährigen ehemaligen Apothekerin in Düsseldorf rein. Die Frau ließ sich aber offensichtlich nicht einschüchtern. Als ehemalige Tai-Quan-Do-Lehrerin gelang es ihr innerhalb Sekunden, drei Agenten unschädlich zu machen. Einer kam anschließend ins Krankenhaus mit einem Bänderriss.

Es ist echt eine dröge Arbeit. Glauben Sie’s mir. Die Chinesen machen es längst viel raffinierter. Sie haben schon lange den Dreh raus, Menschen zu züchten, die kaum großer sind als ein paar Byte, ja Byte. Diese werden dann durch das Internet befördert, können überall auftauchen – auch bei Ihnen. Sie machen keine Fernberichte wie ich. Sie sehen vor Ort ALLES.

Nein, ich erfinde nichts. Außerdem sind die meisten dieser Byte-großen Mitarbeiter Tibetaner und Uiguren. Somit versuchen die Chinesen ihr Minderheitenproblem zu lösen.

Eigentlich darf ich Ihnen all dies nicht erzählen. Fakt ist aber: Wir bestreiken die NSA momentan, weil die Arbeitsbedingungen immer ungerechter werden. Und die Bezahlung ist auch nicht gerade lustig. Darüber hinaus kriegen wir nur zwei Wochen bezahlten Urlaub im Jahr und haben keine Krankenkasse. Allmählich denke ich, dass sie uns gar nicht ernst nehmen, die da im HQ.

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