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Wie Dopey verendete

Jeder Migrationshintergründler versteht, zumindest wenn er wissbegierig ist, dass man in der deutschen Sprache sehr differenziert übers Sterben erzählen kann.

„Sterben“ ist wohl der neutralste Begriff für dieses endgültige Abschiedsnehmen. Das Wort ist übrigens mit dem Englischen „starve“, also „verhungern“ und wahrscheinlich mit „darben“ verwandt.

Will man über einen Todesfall höflich oder ehrerbietig berichten, dann heißt es, dass jemand „verschieden“ oder „hingeschieden“ sei. Entsprechendes kennen wir im Englischen. Man sagt, dass jemand „passed away“. „To pass away“ hat mittlerweile mehr Facebook-Freunde als „to die“. Letzteres klingt nach dem heutigen Geschmack viel zu derb, ist beinahe nicht mehr politisch korrekt – so wie man „bathroom“ für „toilet“ sagt. Komisch.

Das Deutsche ist allerdings mit noch einem Begriff dem Englischen vollkommen überlegen: „verenden“. Als ich dieser Vokabel das erste Mal begegnete, gab mir meine Lebensabschnittspartnerin zu verstehen, dass sich das Wort nur auf Tiere beziehe. So was Ähnliches haben wir in der englischen Sprache nicht.

Und so komme ich nun auf Dopey zu sprechen und wie er verendete.
Er war ein lustiger Kerl, ein flapsiger Straßenköter, hellbraun, mit langen, herunterhängenden Ohren, gutmütig aber nicht besonders hell. Seine Herrin war Judy. Sie hat ihn nach dem Zwerg in Walt Disneys „Schneewittchen“ genannt.

„Dope“ hat mehrere Sinne im Englischen. Es kann zum Beispiel „Dummkopf“ bedeuten (wie Disneys liebenswürdiger „Dopey“) und ist in diesem Sinn wahrscheinlich mit dem deutschen „Depp“ und „doof“ sprachlich verwandt. In der Umgangssprache kann es auch „Information“ heißen. Man sagt: „Gimme (give me) the dope“ („sag mir, was los ist“). Und letztlich ist „dope“, wie jeder Sportsfreund weiß, ein Wort für „Drogen“. Man leitet es in dieser Inkarnation auf das hölländische „doop“, („Sauce“) zurück – ein Hinweis darauf, dass man Opium verflüssigt, um es zu konsumieren. Ich habe hier keine eigene Erfahrungen gemacht, kann also dieses Verfahren nicht bestätigen.

Aber zurück zu Dopey. Aus Gründen, die ich längst vergessen habe, musste Judy den Hund abgeben. Zum Glück fand das liebenswürdige Zamperl ein ideales neues Zuhause bei Dan, Mary und Kindern, die sehr ländlich lebten, hinter dessen Haus es sogar ein Wald gab. Zwei Kinder, ein Wald, reichlich zu essen: Paradies für einen lebenslustigen Vierbeiner wie Dopey.

Dopey war außerdem weder schüchtern noch eingebildet. In der früh bellte er, wenn er raus in die Natur wollte, fröhlich vor der Tür. Eigentlich süß. Doch diese Mitteilungsfreude sollte ihm mal zum Verhängnis werden.

Zeitsprung. Eines Tages besuchte ich Dan und Mary und die Kids. Ich unterhielt mich mit Dan im Garten und fragte, weil ich den Hund nirgends sah: „Hey, wo ist Dopey?“

„Ach“, sagte er plötzlich mit trauriger Miene, „frag lieber nicht. Ich hab schon ein sehr schlechtes Gewissen.“

„Wieso? Ich verstehe nicht.“

Nun erzählte er seine Story. Seine Stimme war leise und ernst: „Es war am letzten Sonntag. Vielleicht hatten wir am Samstagabend einen über den Durst getrunken. Ich war jedenfalls verkatert. Nun bellte Dopey vor der Haustür, wollte raus. Es war vielleicht neun Uhr. Ich fühlte mich sehr schlecht, wollte nur schlafen. Es war nicht das erste Mal, dass sich der Hund so aufgeführt hatte, wenn ich lieber hätte schlafen wollen. Dann maulte Mary: „Lass Dopey raus“, , und steckte ihren Kopf unters Kopfkissen. Ich stand auf, war mächtig sauer. Das wird das letzte Mal sein, dass du mich weckst, Dreckstier, grummelte ich. Ich weiß nicht, was dann in mich gefahren ist. Ich ergriff mit der einen Hand mein Gewehr, und mit der anderen packte ich den Hund am Kragen. Ich machte die Tür auf und sagte Dopey, er soll sitzen bleiben, was er auch tat. Er schaute mich mit seinen großen Hundeaugen an. Ich habe gar nicht mehr nachgedacht. Ich habe einfach gezielt und abgedrückt. Der Widerhall kam wir so laut vor wie eine Kanonensalve. Dann war alles still. Doch nur kurz. Plötzlich jaulte Dopey, als würden ihn hundert Teufel reiten und rannte schnurstracks ins Haus, genauer gesagt, ins Schlafzimmer, wo er aufs Bett sprang und auf Mary landete. Die ganze Zeit quietschte er und japste er. Überall war Blut, viel Blut. Du kannst dir vorstellen, wie Mary reagierte:

‚Was ist hier los!!?‘ schrie sie. ‚Dopey! Danny! Was ist mit Dopey passiert? Ruf den Arzt!!‘

Was hätte ich ihr sagen können? Dass ich ihn gerade erschossen hätte? Mir war die Sache ohnehin schon ganz peinlich. Ich wollte nichts erklären. Ich kam ins Schlafzimmer – das Gewehr noch immer zu Hand und packte den Hund, der sich inzwischen nicht mehr bewegte und trug ihn in den Hof. Dann grub ich ein Loch, legte ihn hinein und schüttete es mit Erde zu.

Und dann geschah es. Das vergesse ich nie: Eine Pfote schoss aus dem Boden und bewegte sich, lange sogar. Das hat mich so erschreckt. Ich schoss in die Erde wie verrückt…“

Ich habe genug erzählt. Jetzt wissen Sie, wie Dopey verendete.

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