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Wieso ich das Fliegen hasse (und ein nettes Gespräch)

Zu sagen, dass ich ungern fliege, wäre nicht genug. Die Intensität meiner Abneigung wächst in Proportion zur jährlichen Reduzierung des mir zugewiesenen Sitzraumes in der Maschine. Ich bin mit Sicherheit kein Dicker. Im Gegenteil. Ich bin, da ich seit Monaten meinen täglichen Kohlenhydratkonsum reduziert habe, sogar sechs Kilogramm leichter als im vorigen Jahr und entsprechend schmaler. Dennoch sitze ich in Economy noch enger als zuvor. Und wehe, wenn man eine kleine Tasche im Stauraum hinlegt. Man sitzt mit eingeknickten Knien wie auf dem elektrischen Stuhl.

Wer fliegt, weiß wovon ich rede.

Trotzdem macht man beim Fliegen Erlebnisse, die einen – wie soll ich es sonst sagen? –, die einen beflügeln!

Zum Beispiel, als meine Sitznachbarin meine Lektüre im E-Buchgerät unterbrach:

„Verzeihung“, sagte sie. Derf i wos Indiskretes frogn? Sie miassen nedd antworten, wenn Sie nedd mechten.“

„Nein, bitte.“ Man wird neugierig, wenn einer ein Gespräch mit einer angekündigten Indiskretion beginnt.

„San Sie Lektor oder Professor oder so ähnlich? I seh, wie Sie die ganze Zeit an Text korrigiern.“

„Nein, ich korrigiere nichts, ich markiere bloß Stellen, die mir gefallen. Das kann man in einem E-Buchgerät ähnlich wie in einem richtigen Buch.“

So begann unsere Unterhaltung, und bald erfuhr ich, dass meine Nachbarin eine seit siebzehn Jahren in Amerika lebende geborene Eichstätterin ist, die momentan nach Deutschland fliegt, um Freunde und Familie zu besuchen.

„Wir teilen also das gleiche Auswanderungsschicksal, bloß in verkehrte Richtungen“, sagte ich.

Natürlich sprachen wir darüber, wie wir die Zweisprachigkeit unserer Kinder handhabten. Sie und ihr Mann sahen zu, dass zuhause nur Deutsch gesprochen wurde. „Wer gegen die Regeln verstieß, der bekam eine Strafauflage: Geschirrspülen, Bad sauber machen und so was.“

Ähnlich hatten wir es getan (bloß ohne Strafauflagen), Für uns war es freilich einfacher. Denn das Englisch Sprechen in Deutschland hat einen höheren Stellenwert als das Deutsch Sprechen in Amerika. Die Kinder waren dankbar, dass sie den Vorteil des fließenden Englisch hatten – vor allem in der Schule.

Was meine Sitznachbarin selbst betrifft: Sie hatte, als die Familie in die USA auswanderte, nur wenige Englischkenntnisse. (Mir ging es ähnlich bloß umgekehrt). „I konnte die Wörter nedd richtig pronouncen“, sagte sie. „I stellte fest, dass der gleiche Buchstabe verschiedene Pronunciations hatte. Warum, frog i mich, wird das englische ‚i‘ amal als ‚ei‘ pronounct und amal wie ein kurzes deutsches ‚i‘? I bin in die Sprachschule gangen, um Englisch zu lernen, und die Lehrerin konnte mir die Frage nedd erklären.“

„Ich aber“, sagte ich, ohne zu verraten, dass ich der Sprachbloggeur bin.

„Dann bitte.“

„Die Gründe sind historisch. Im Angelsächsischen sagte man ‚ik‘ fürs englische ‚I‘. Das wurde aber nach und nach wie im Bayrischen in ein langes ‚i‘ verändert. Das nennt man das Gesetz der Mundfaulheit. Und dann trafen die Dänen in England ein und gaben eine Zeitlang den Ton an. Ihr Wort für ‚ich‘ klang wiederum wie ‚jei‘,was die Aussprache des „I“ erheblich beeinflusste. Wörter mit einem kurzen ‚i‘ wie ‚in‘, ‚is‘, ‚it‘ waren hingegen schon immer kurz – genauso wie im Deutschen. Die Aussprache des Deutschen ist aber für uns Amerikaner auch nicht ganz ohne. Wir, zum Beispiel, können schwer zwischen ‚strafen‘ und ‚straffen‘, ‚Stadt‘ und ‚Staat‘, ‚Rate‘ und ‚Ratte‘.unterscheiden.“

„Bei uns zuhause hoaßt es ‚stroffn‘ und „strafen“, ‚Stodt‘ und ‚Staat‘, ‚Rate‘ und ‚Ratzn‘.

„Es hätte mein Leben ziemlich erleichtet, wenn ich Bayrisch Sprechender geworden wäre. Aber nun ist es zu spät. Wenn man einmal anfängt Hochdeutsch zu sprechen, kennt das bayrische Ohr keinen Pardon mehr.“

Ja, mit einem angenehmen Gespräch über Sprache, kann man, zumindest eine kleine Weile, die Enge eines Economy-Sitzplatzes vergessen lassen, aber nur eine kleine Weile. Kaum schaut man auf die Uhr, da weiß man, dass man noch Stunden vom Ziel entfernt ist. Und plötzlich fliegt die Rückenlehne eines unsichtbaren Menschen, der vor einem sitzt, einem entgegen, und man findet seinen aufgeklappten Tisch gegen die eigenen Rippen gedrückt.

Mein Traum: Die Erfinder der neuen Auflage des Economysitzes sollten als Strafauflage viermal jährlich Economy fliegen müssen: fünf Jahre lang.

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