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Plagiat mal ganz anders

Auch ich bin nur Gefangener des Zeitgeistes. Klar, dass ich immer wieder über Themen schreibe, die in der Luft liegen wie zum Beispiel Felix Baumgartner, der vor kurzem aus einer Höhe von 39.000 Metern aus einer Art Raumkapsel ins Leere gesprungen ist, wohl um diverse Weltrekorde zu brechen, damit er in die Geschichte oder in das Guiness Book of Records eingehe.

Doch weil ich mich nur begrenzt für solche Waghalsigkeiten interessiere, ist für mich ein Thema wie Baumgartner wenig ergiebig und schnell erledigt. Ich hoffe nur, dass ihm keiner so schnell nacheifert. Wem ein solcher Sprung nicht gelingt (auch wenn der Sponsor für alle Kosten aufkommt), sieht hinterher aus, wie eine reife Wassermelone, die vom Lieferwagen auf die Landstraße geklatscht ist.

Nein, keine kühnen Sprünge. Ich schreibe heute lieber über das Plagiat, ohnehin schon lange ein aktuelles Thema – zumindest in Deutschland. Und die Entlarvung von Doktorarbeit-PlagiatorInnen (notabene: hier eine politisch korrekte Form) scheint für manche mittlerweile zu einem neuen Beruf(ung) zu werden.

Ich wäre selbst mal gern ein Herr Doktor geworden, habe allerdings nie eine Doktorarbeit geschrieben. Einmal vor dreißig Jahren sagte mir ein Bankier (heute „Bankmitarbeiter“ bzw. „Bankberater“): „Grüß Gott, Herr Doktor.“ Ich habe ihn schleunigst korrigiert, weil ich schon damals lang genug in Deutschland gewesen war, um zu wissen, dass die Erschleichung eines Doktortitels strafbar ist.

Dr. Blumenthal klang aber nett, Fachrichtung egal. Damals konnte man nämlich in München Wohnungen leichter bekommen, wenn man sich mit Doktortitel vorstellte. Der Grund: Vermieter hatten gerne Namen mit „Dr.“ auf dem Klingelbrett. Es machte irgendwie Eindruck.

Momentan ein undankbarer Titel wegen der Jagd auf die Doktoren, vor allem, wenn sie Politiker sind. Und jeder Bürger kann helfen, die Erschlichenen zu entlarven, indem er plagiierte Stellen in drögen Doktorarbeiten aufdeckt. Das Internet demokratisiert.

Umso mehr wollte ich als sprachinteressierter Mensch, das Wort „Plagiat“/“Plagiator(in)“ ein wenig erläutern. Denn ich wusste selbst nur wenig darüber.

„Plaga“ auf Lateinisch bedeutet „Hieb“, „Streich“ und im übertragenen Sinn „Plage“ und „Seuche“. Der „plagiarius“ war Ausführender einer „plaga“ ein „Schlägertyp“ also – einer, z.B., der von der Mafia losgeschickt wurde, um Schutzgelder von säumigen Schuldnern zu kassieren. Es liegt auf der Hand, dass dieses Wort zusätzlich die Bedeutung „Folterknecht“ bekam. Was hat das mit demjenigen zu tun, der geistiges Eigentum entwendet? Noch gar nichts. Erst um die Zeit von Augustus Cäsar bekam dieses Wort die Bedeutung „Plünderer“, „Räuber“ und somit kommen wir der Sache etwas näher.

Auch ein „Menschenentführer“ war für den Römer ein „plagarius“. Warum, weiß ich nicht. Außerdem sagten manche anstatt „plagarius“ „plagiator“. Beide Wörter hatten irgendwie denselben Sinn. Nur: „Plagiator“ benutzte man auch, um einen Verführer von Jugendlichen zu schildern. Immer noch kein „Entführer“ von geistigem Eigentum.

Dass dieses Wort seine heutige Bedeutung bekam, haben wir einem einzigen Menschen zu danken: dem römischen Dichter, M. Valerius Martialis, Martial auf Deutsch. Er lebte von 40 n.Chr. bis etwa 102, und verbrachte viele Jahre in der Innenstadt Roms, wo er eine kleine Wohnung in einem mehrstöckigen Wohnhaus hatte. Aus den Fenstern seiner Wohnung (die er nur mit Fensterläden zumachen konnte) schaute er auf eine belebte Straße. Es gab Lärm, Schmutz, Gestank und viel Betrieb da unten. Die Großstadt war seine Welt, und sie war auch der Inhalt seiner Werke. Er saß an seinem Schreibtisch, zündete eine Öllampe an und erfasste seine Welt in lebendiger Lyrik, mal satirisch, mal rührend, mal bissig. Jeder kannte ihn.

In einem Gedicht (1,52 seiner „Epigramme“) beklagte er sich bei einem gewissen Quintianus, einem wohlhabenden Patrizier, der einen eigenen Hausdichter anstellte. Dieser Hausdichter pflegte aber Gedichte von Martial zu rezitieren als wären es die eigenen. Das brachte Martial verständlicherweise auf die Palme. In einem Gedicht an Quintianus beschreibt er dessen Hausangestellten als „plagiarius“. Vielleicht meinte er damit nur, dass der andere ein „Plünderer“ oder „Entführer“ sei. Egal. Das Wort prägte. Dank Martial heißen alle, die das Werk anderer für das eigene Werk ausgeben ohne Hinweis auf den Urheber, „Plagiatoren“ – auf Englisch „plagiarizers“.

Nebenbei: Wer die Werke der Antike liest, erfährt auch von einem Menschen, der wie der oben erwähnte Felix Baumgartner aus einer großen Höhe herunterstürzte: Ikarus. Letzterer hatte leider keinen Fallschirm, nur Flügel. Diese waren leider aus Wachs und schmolzen im Sonnenlicht dahin.

In eigener Sache: Bin nächste Woche ausnahmsweise verreist. Berichte erst in zwei Wochen wieder aus der Welt.

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